Interview mit...
...Wulf Dorn
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Buchkritik von "Kalte Stille"
"Wie alles im Leben hat auch Lob eine Kehrseite: Je höher du gehoben wirst, desto tiefer kannst du fallen."
Mit Booksection im Gespräch: Thriller-Autor Wulf Dorn.
Booksection.de: Ihr Thriller „Kalte Stille“ zieht
einen von der ersten Seite an in seinen Bann und will einen bis zum Schluss
nicht mehr loslassen. Haben Sie bestimmte Techniken entwickelt, mit denen Sie
eine solche Sogwirkung erzeugen können oder ist die mehr ihrem erzählerischen
Talent zuzuschreiben?
Wulf Dorn: Bei dieser Frage fällt mir mein Nachbar ein.
Er ist Bühnenmagier. Hin und wieder lädt er meine Frau und mich als
Testpublikum für sein neuestes Zauberstück ein. Danach sitzen wir
jedes Mal staunend da und fragen uns, wie er das nur hinbekommen hat. Natürlich
wissen wir, dass er an diesen Tricks monatelang übt und sämtliche
Variationen testet, bis er die richtige gefunden hat. Trotzdem sieht alles so
leicht aus und man ist einfach nur fasziniert. Sein großes Talent besteht
darin, den Zuschauer nicht merken zu lassen, wie viel Arbeit in seinen Kunststücken
steckt.
Als Autor versuche ich nichts anderes. Ich gehe die verschiedenen Möglichkeiten
durch, wie eine Geschichte erzählt werden kann – so lange, bis ich
denke, den Leser damit fesseln zu können. Nur dass man als Schriftsteller
ohne Tricks und doppelten Boden arbeitet. Immerhin legt man beim Schreiben alles
offen. Jeder kann genau nachlesen, wie man vorgegangen ist. Der wichtigste Kniff
besteht darin, sich an das oberste Gebot des Erzählens zu halten: „Du
darfst nicht langweilen“.
Wenn „Kalte Stille“ also wie ein Sog auf Sie gewirkt hat, freut
mich das sehr. Dann habe ich mein Ziel bei Ihnen erreicht.
Booksection.de: Die gekonnte Zeichnung der Charaktere zeichnet
„Kalte Stille“ ganz besonders aus. Sei es nun der Held Jan Forstner,
der ehemalige Nachbar Marenburg, der Alkoholiker Amstner oder Carla –
sie alle wirken zutiefst authentisch. Haben Sie lebende Vorbilder für Ihre
Figuren oder vermischen sich hier Eigenschaften unterschiedlicher Menschen miteinander?
Wulf Dorn: Nein, sämtliche meiner Figuren sind frei erfunden.
Zwar lässt es sich nie ganz vermeiden, charakterliche Anleihen bei seinem
Umfeld oder bei sich selbst zu nehmen, aber generell gibt es keine realen Vorbilder.
Deshalb will ich so viel wie möglich über die Figuren erfahren, ehe
ich mit dem Schreiben beginne. Ich entwerfe Lebensläufe und frage mich,
wer diese Personen sind, woher sie kommen, was sie bisher schon alles erlebt
haben, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Es muss sich so anfühlen,
als handle es sich um wirkliche Menschen, die man schon lange kennt. Sobald
daraus eine innige Beziehung entsteht, ist das ein großartiges Gefühl.
Umso schwerer fällt der Abschied, wenn man am Ende der Geschichte angekommen
ist.
Booksection.de: IWar für Sie von Anfang an klar, welcher
Figur welche Rolle zugedacht war oder hat sich da auch eine gewisse Eigendynamik
entwickelt, die Sie womöglich selbst überrascht hat?
Wulf Dorn: Für mich steht von Anfang an fest, wer welche
Rolle spielen wird. Aber hin und wieder kann es schon mal vorkommen, dass sich
eine Figur in den Vordergrund drängeln will. Oder dass sie sich gegen den
vorgegebenen Plot zur Wehr setzt. Erst neulich hatte ich diese Situation. An
einer Stelle gab mir ein Protagonist zu verstehen, dass er nie so handeln würde,
wie ich es vorgesehen hatte.
Das sind dann die besonders spannenden Momente. Plötzlich entdeckt man
Details, die man beim Planen der Handlung gar nicht bedacht hat. Und dann klopft
der Protagonist gegen die Innenseite des Monitors und erklärt dir, dass
es einen besseren Weg gibt. Einen, der zu ihm passt. Klingt irgendwie schizophren,
aber so ist das nun mal, wenn man den Hauptteil des Tages mit imaginären
Personen verbringt.
Booksection.de: I Es ist vor allem das Tiefgründige,
das Verborgene, das unter der Oberfläche lauert, das die Faszination von
„Kalte Stille“ ausmacht. Woher holen Sie die Fähigkeit, Dinge
so zu schreiben, dass sie nicht wirklich ausgesprochen werden, aber dennoch
latent da sind?
Wulf Dorn: Haben Sie sich schon einmal einen Horrorfilm ohne
Ton angesehen? Wenn Musik und Geräusche fehlen, ist er nur noch halb so
gruselig. Denn um uns zu einem Teil der Geschichte werden zu lassen –
so, dass wir alles andere um uns herum vergessen – muss so viel wie möglich
von unserer Sensorik angesprochen werden. Das ist, wie wenn Ihnen jemand von
seiner letzten Wurzelbehandlung erzählt und Ihnen auf einmal selbst die
Zähne wehtun.
Genau das versuche ich in meinem Geschichten zu erreichen. Sowohl direkt als
auch unterschwellig. Wenn der Leser von der beschriebenen Kälte fröstelt
oder die Beklemmung des Protagonisten selbst wahrzunehmen glaubt, wird das Kino
im Kopf in Gang gesetzt. Und je plastischer eine Szene wirkt, desto größer
ist die Wahrscheinlichkeit, dass es kein Stummfilm wird.
Booksection.de: IAndreas Eschbach hat über Sie gesagt:
„Wulf Dorn ist der geborene Erzähler. Räumen Sie schon mal Platz
im Regal frei; Sie werden es nicht bei diesem einen Buch belassen wollen.“
Welche Gefühle ruft ein solch gewichtiges Lob hervor?
Wulf Dorn: Dazu sollte ich vielleicht erzählen, dass ich
Andreas Eschbach schon lange kenne. Wir hatten uns damals per Email kennengelernt,
nachdem ich sein „Jesus Video“ gelesen hatte, und so entstand ein
reger Austausch über das Schreiben. Irgendwann meinte er, ich solle ihm
doch mal einen meiner Texte schicken. Ich war ganz aus dem Häuschen, da
er das normalerweise nie tut und sogar auf seiner Homepage extra darauf hinweist!
Also schickte ich ihm den Anfang des Romans, an dem ich damals geschrieben habe
– in der festen Überzeugung etwas ganz Tolles verfasst zu haben.
Das Feedback ließ eine Weile auf sich warten, und als es dann kam, war
mir schnell klar, warum. Es muss ihn einige Zeit gekostet haben, mir auf schonende
Weise beizubringen, dass er den Text einfach nur schlecht fand.
Nun, nach all den Jahren und etlichen Schreiberfahrungen, dieses Lob von ihm
zu bekommen, hat mich sehr stolz gemacht. Denn gerade weil uns eine enge Freundschaft
verbindet, weiß ich, dass er das nicht geschrieben hätte, wenn es
nicht wirklich seine Meinung gewesen wäre.
Booksection.de: IHatten Sie nach Ihrem ersten Erfolg „Trigger“
Bedenken, die hohen Erwartungen der Leser auch im zweiten Buch erfüllen
zu können?
Wulf Dorn: Ja, ziemlich große sogar. Natürlich habe
ich mich riesig über die positive Resonanz gefreut, aber wie alles im Leben
hat auch Lob eine Kehrseite: Je höher du gehoben wirst, desto tiefer kannst
du fallen. Deshalb hatte ich anfangs schon etwas weiche Knie, als ich mit „Kalte
Stille“ begonnen habe.
Mir ist jedoch sehr schnell klar geworden, dass man sich nicht von den Erwartungen
anderer unter Druck setzen darf. Wenn man von einer Idee überzeugt ist
und sein Bestes gibt, stehen die Chancen gut, auch die Leser mit dieser Begeisterung
anstecken zu können. Ich hoffe, dass mir das bei „Kalte Stille“
gelungen ist.
Booksection.de: ISie sind ja selbst in einer psychiatrischen
Klinik tätig und ganz offensichtlich fließt vieles, was Sie an beruflichen
Erfahrungen haben, in Ihre Bücher ein. Inwieweit würden Sie das Schreiben
als eine Verarbeitung Ihrer Erlebnisse bezeichnen?
Wulf Dorn: Natürlich lege ich großen Wert auf einen
fundierten Hintergrund, aber trotz allem sind es nur erdachte Geschichten. Keinesfalls
schreibe ich über die Fälle, mit denen ich im psychiatrischen Alltag
konfrontiert bin. Das verbietet mir allein schon die Schweigepflicht. Wenn ich
tatsächlich eigene Erlebnisse in meinen Büchern verarbeite, ist es
in erster Linie Privates. Etwa Ellen Roths Begegnung mit dem schwarzen Hund.
Die führt auf einen Alptraum zurück, den ich vor Jahren hatte, und
der seither als eine Art Freud’sches Symbol durch sämtliche meiner
Geschichten geistert. Oder die Experimente des zwölfjährigen Jan Forstner
mit dem Tonband. Nur, dass das bei mir nie funktioniert hat.
Aber meistens bin ich ganz froh, nicht alles erleben zu müssen, worüber
ich schreibe. Denn seien wir mal ehrlich: Würden Sie mit Jan Forstner tauschen
wollen? Da führe ich doch lieber das nicht ganz so spannende Leben des
Wulf Dorn und bestehe meine Abenteuer auf dem Papier.
Booksection.de: IWas für ein Gefühl ist es, wenn
gleich der Debütroman auf den Bestsellerlisten landet? Hätten Sie
selbst mit einem solchen Erfolg gerechnet?
Wulf Dorn: Damit zu rechnen wäre ziemlich vermessen gewesen,
denken Sie nicht? Selbstverständlich habe ich immer davon geträumt,
eine große Leserschaft zu begeistern – welcher Autor tut das nicht?
Aber dass es nun tatsächlich so ist und ich mittlerweile Leserzuschriften
aus dem Ausland erhalte, fühlt sich immer noch ein wenig surreal an.
Natürlich freut mich das alles ungemein, aber gelegentlich beschleicht
mich auch das Gefühl, dass ich gleich aufwachen werde, weil der Postbote
klingelt, um mir eine Verlagsabsage für „Trigger“ unter die
Nase zu halten. Falls es also wirklich ein Traum sein sollte, hoffe ich, er
hält noch lange an. Denn da gibt es noch eine Menge Ideen für weitere
Romane.
Booksection.de: I„Trigger“ soll ja nun verfilmt
werden. Haben Sie ein Mitspracherecht bezüglich der Drehvorbereitungen
und können Sie schon Details zur Verfilmung verraten?
Wulf Dorn: Nein, rein vertraglich habe ich kein Mitspracherecht.
Das ist für mich auch völlig in Ordnung, denn Bücher und Filme
unterliegen unterschiedlichen Erzählweisen. Da will ich keinem Filmprofi
dreinreden. Erst recht nicht, seit ich Ende letzten Jahres den Drehbuchautor
kennengelernt und gesehen habe, wie er an den Stoff herangeht. Während
das Script entstand, haben wir haben uns viel darüber ausgetauscht und
er wusste genau, worauf es mir bei der Geschichte ankommt. Das ist alles schon
sehr vielversprechend. Mehr kann ich noch nicht dazu sagen, da sich das Projekt
noch in Vorbereitung befindet.
Booksection.de: I Was macht für Sie die Faszination eines
Thrillers aus und könnten Sie sich vorstellen, auch einen Roman zu schreiben,
der in einem anderen Genre angesiedelt ist?
Wulf Dorn: An Thrillern reizt mich die Vielseitigkeit. Menschliche
Dramen, Psychologie, Verschwörungen, politische, gesellschaftliche oder
wissenschaftliche Themen, Übernatürliches, eine Liebesgeschichte oder
ein historisches Ereignis – alles ist möglich, wenn man es nur spannend
verpackt. Deshalb ist dieses Genre für mich wie eine große Spielwiese.
Und darauf will ich mich gerne noch eine Weile tummeln. Über alles Weitere
habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Man weiß schließlich nie,
was die Zukunft noch bringen wird.
Das Interview durch Stefanie Rufle geführt. Veröffentlicht und freigegeben vom Autor am 23.08.2010