
Buchkritik von Angelika Koch
Von Sebastian Fitzek, der schon längst zum wohl bedeutendsten Thrillerautor Deutschlands avanciert ist, ist der Leser temporeiche, unglaublich spannende, wendige und überraschende Geschichten gewohnt. Wochenendkiller, absolute Knaller, Thriller der Extraklasse. So waren die Erwartungen an „Abgeschnitten“ natürlich sehr hoch. Dass Fitzek sich auch noch einen „echten“ Rechtsmediziner, nämlich keinen Geringeren als Michael Tsokos, der das Institut für Rechtsmedizin in Berlin leitet und selbst schon zwei Bestseller geschrieben hat, als Co-Autor an seine Seite gestellt hat, um dem Buch damit noch mehr Authentizität zu verleihen, war ein genialer Gedanke. In der Tat sind die Beschreibungen der Autopsiesequenzen dadurch schaurig exakt und lassen dem Leser das Blut in den Adern gefrieren. Zudem erfreulich ist, dass Fitzek ein heikles Thema aufgreift, über das sicherlich viel öfter gesprochen werden sollte: In unserem Land ist es offensichtlich ein geringeres Verbrechen, Menschen zu misshandeln, als Steuern zu hinterziehen.
Aber dennoch: Leider ist „Abgeschnitten“ nicht das geworden, was zu erwarten war und sich die Fans erhofft hatten. Die vorherigen Bücher, allen voran „Die Therapie“, hatten die Messlatte sehr hoch gelegt und nun scheint Fitzek der Versuchung erlegen zu sein, noch „einen draufzusetzen“. Dabei aber wurde das Maß eindeutig überschritten. Selbst hartgesottene Thrillerleser haben gewisse Grenzen. Grenzen in Bezug auf Grausamkeiten und Grenzen in Bezug auf stakkatoartige Ereignisabfolgen. Ohne zu detailliert auf das Buch eingehen zu wollen, muss jedoch gesagt werden, dass manche Dinge hier einfach zu viel sind. Zu viel des Guten, zu viel des Abartigen, zu viel der Überraschungen und Wendungen, zu viel der Schnelligkeit der Ereignisse. Zu oft wirken die Erklärungen von Hintergründen und Zusammenhängen mehr als bemüht. Das ist alles nicht mehr nachzuvollziehen und selbst ein Thriller sollte noch ein gewisses Maß an Bodenhaftung haben. Zudem sind manche Protagonisten einfach zu übertrieben und unglaubwürdig gezeichnet, allen voran Ingolf von Appen, der aus dem Nichts auftauchende Sohn des Innensenators, der Herzfeld während seiner Hetzjagd unerschütterlich zur Seite steht und Hannah, Herzfelds Tochter, die keinen Funken Glaubwürdigkeit liefert, Stockholm-Syndrom hin oder her.
Alles in allem also ein durchaus temporeicher, unglaublich spannender, wendiger und überraschender Thriller, bei dem aber alle genannten Adjektive mit dem kleinen Wörtchen „zu“ gespickt werden müssen. Schade, aber nichtsdestotrotz wird auch beim nächsten Buch, das mit Sicherheit recht bald aus Fitzeks Feder fließt, die Neugier siegen … Es kann ja wieder besser werden.